Game over down under

18.01.2022 - 15:55
Angelique Kerber

Das "worst case scenario" ist eingetreten. Bei den Australian Open 2022 hat keine deutsche Spielerin die zweite Runde erreichen können. Nach Tatjana Maria und Andrea Petkovic musste auch Angelique Kerber zum Auftakt gleich die Segel streichen. Gegen die 36-jährige Estin Kaia Kanepi war trotz einer tollen Aufholjagd der Kielerin im ersten und Breakführung im zweiten Satz mit einer 4:6 und 3:6-Niederlage Endstation.

Während viele Medien nun - möglicherweise nicht ganz zu Unrecht - von einer Pleite historischen Ausmaßes sprechen, liegen die Gründe dafür jedoch nicht so einfach auf der Hand, wie es so mancher denkt. Hier lohnt sich ein Blick auf die Situation im deutschen Damentennis.

Zunächst sei einmal gesagt: alle drei deutschen Teilnehmerinnen an den diesjährigen Australian Open sind 33 Jahre und älter und somit in einem Alter, in dem andere wie beispielsweise auch eine Julia Görges ihre Karriere längst beendet haben. Folglich hätte Deutschland in diesem Jahr nicht nur keine Spielerin in der zweiten, sondern bereits in der ersten Runde haben können. Ein komplettes Feld ohne deutsche Beteiligung sozusagen.

Dass es momentan etwas an konkurrenzfähigem Nachwuchs mangelt, steht leider außer Frage. Jule Niemeier, die nächste große Hoffnung, scheiterte bereits zum zweiten Mal in der letzten Runde der Qualifikation. Sie ist aktuell die größte Hoffnungsträgerin, wenn es darum geht, in den nächsten Jahren zumindest eine Deutsche sicher in den Hauptfeldern zu haben. Jahrelang hatte man sich das von einer Tamara Korpatsch erhofft oder auch von einer Antonia Lottner. Beide haben jedoch mittlerweile den Rückwärtsgang in der Weltrangliste eingelegt.

Weitere Namen, die momentan gehandelt werden, wenn es um zukünftige Top 100-Spielerinnen geht, sind Eva Lys und Nastasja Schunk. Beide haben bereits zwei W25-Turniere gewinnen können, Schunk sogar 2021 binnen weniger Wochen. Gut möglich, dass sie diesen Sprung auch schaffen, doch der Weg bis dorthin ist noch ein schönes Stück. Ziel für beide sollte es zunächst sein, in die Qualifikation bei einem Grand Slam-Turnier hineinzurutschen.

Und was ist eigentlich aus der guten Nachwuchsgeneration um Friedsam, Witthöft & Co. geworden ? Anna-Lena Friedsam ist weiter auf der Suche nach ihrer einstigen Topform, mit der sie Top 10-Spielerinnen einst das fürchten lernte. In Melbourne reichte es leider auch nur zum frühen Aus in der Qualifikation. Carina Witthöft, das möglicherweise größte Talent unter den deutschen Tennisdamen, konnte sich auf Dauer mit dem Tourleben nicht anfreunden und befindet sich bereits seit drei Jahren in einer Auszeit. Annika Beck, die wie Witthöft und Friedsam ebenfalls konstant unter den Top 50 stand, verabschiedete sich 2018 völlig unerwartet im Alter von 24 Jahren, um Zahnmedizin zu studieren.

Dieses Trio könnte momentan dafür sorgen, dass die Wolken am deutschen Tennishimmel nicht mehr ganz so dunkel erscheinen, wären sie nicht bereits zurückgetreten oder steckten wie im Fall von Friedsam in einer akuten Formkrise. Weiter könnte man auch Dinah Pfizenmaier erwähnen, die kurzzeitig ebenfalls in den Top 100 war, jedoch ähnlich früh den Schläger an den Nagel gehängt hat.

Da man auch vom momentan inaktiven Ü30-Trio Siegemund / Barthel / Lisicki wohl nicht mehr allzu viel erwarten darf, wird der Fokus immer mehr auf dem langsam aufstrebenden Nachwuchs liegen, auch wenn zu befürchten ist, dass die lange, auch von Barbara Rittner schon vor Jahren prognostizierte, Durststrecke erst am Anfang steht und Grand Slam-Turniere wie die diesjährigen Australian Open zur Gewohnheit werden.

Der absolute Tiefpunkt ist jedoch erst dann erreicht, wenn sich irgendwann nicht mal mehr in der Qualifikation eine deutsche Fahne finden lässt. Doch davon sind wir glücklicherweise noch meilenweit entfernt.