Kinder an die Macht !
Da schau einer an ! Vor vier Tagen duellierten sich im Finale der Kamen Open zwei sehr junge deutsche Nachwuchstalente. 32 Damen waren gestartet, am Ende blieben mit der 14-jährigen Ida Wobker und der um ein Jahr älteren Mariella Thamm zwei deutsche Spielerinnen übrig, die zusammen nicht einmal 30 Jahre alt sind. Unabhängig davon, wer letztlich dieses Endspiel für sich entschied, es war bereits vor Spielbeginn klar, dass eine der beiden ihren allerersten Titel auf der Profitour gewinnen würde. Und das mit nicht einmal 16 - einfach stark !
Den Titel sicherte sich am Ende Mariella Thamm in einem ziemlich unspektakulären Finale. Sie hatte bereits im Halbfinale zuvor ihre Meisterprüfung abgelegt, als sie die vier Jahre ältere Topfavoritin auf den Titel, Tessa Brockmann, in einer denkwürdigen Partie nach 1:5-Rückstand im dritten Satz noch in die Knie zwingen konnte. Brockmann gehört trotz ihres im Vergleich zu den beiden Finalistinnen "gehobenen" Alters von 19 Jahren mit zu den heißesten Kandidatinnen, wenn es darum geht, welche deutschen Spielerinnen in wenigen Jahren die Weltspitze aufmischen könnten.

Kritiker würden nun gleich wieder ankommen und anmerken, dass es sich bei Thamms Titelpremiere nur um ein Turnier der Kategorie W15 gehandelt hat und zudem auch noch um eins im eigenen Land. Das stimmt, nur hindert die anderen 31 Teilnehmerinnen im Hauptfeld niemand daran, dafür zu sorgen, dass jemand anderes als Thamm den Titel gewinnt. Haben sie aber nicht. Thamm war in der Woche von Kamen die beste und ihr Sieg somit verdient. Punkt !
Ja, aber andere in dem Alter haben doch schon viel höher eingestufte Turniere gewonnen (z.B. Gauff einst mit 15 in Linz). Und ? Wen interessiert das Alter ? Der Triumph von Tatjana Maria im Londoner Queen's Club mit 37 Jahren gilt als eine der größten Sensationen im Tennissport in den vergangenen Jahren. Und da war keine Laufkundschaft zu Gast, sondern ein erheblicher Teil der Weltspitze und trotzdem ging der Titel nach Deutschland. Ist doch super ! Nun wissen Ida Wobker und Mariella Thamm wenigstens, dass sie notfalls noch mindestens 22 Jahre Zeit haben, um einen großen WTA-Titel zu gewinnen.
Es ist in den deutschen Medien zum Volkssport geworden, negative Ergebnisse nach allen Regeln der Kunst auszuschlachten. "Wie ? Alexander Zverev scheitert schon wieder früh bei einem Grand Slam-Turnier ? Der gewinnt eh keins mehr !" Nur mal zur Info: dieser Mann ist Olympiasieger, ATP-Weltmeister und - wenn auch weniger relevant - hat das deutsche United Cup-Team 2024 sensationell zum Titel geführt. Der Mann kann was. Er war lange die Nummer zwei der Welt ("der wird ja eh nie Nummer eins") und stand schon in mehreren Grand Slam-Finals. Würde Zverev heute aufhören, wäre Tennis bei den deutschen Herren klinisch tot. Aber typisch deutsch eben: man hackt lieber auf dem rum, was man hat, als dass man darüber froh wäre, dass überhaupt so jemand wie Zverev da ist. Selbst wenn er neun Grand Slam-Titel holen würde: während andere Nationen stolz auf so einen Seriensieger wären, würde man ihn in Deutschland fragen, wann er gedenkt, endlich mal seinen zehnten zu gewinnen.
Müssen die deutschen Medien unbedingt immer dieselben Narrative bedienen ? Wäre es nicht endlich an der Zeit, auch mal über den Tellerrand hinauszublicken und darüber zu berichten, was sich sonst noch so im Profitennis tut, insbesondere beim Nachwuchs ? Die dort geleistete Arbeit der beiden DTB-Nachwuchstrainer Dirk Dier und Jasmin Wöhr bei den Damen trägt langsam aber sicher ihre Früchte. Nicht nur Thamm, Wobker und Brockmann sind auf dem Vormarsch, man muss genauso die Namen von Julia Stusek, Eva Bennemann, Sonja Zhenikhova, Josy Daems, Victoria Pohle und Valentina Steiner erwähnen, wenn man über den deutschen Tennisnachwuchs bei den Frauen spricht. Allesamt noch keine 20, doch alle längst in der Weltrangliste etabliert. Wie ? Sie haben diese Namen noch nie gehört ? Dann haben Sie wohl mit dem Teil der Journalisten was gemeinsam, die bis heute fest der Überzeugung sind, in Deutschland käme eh nichts nach.
Wir haben so viele interessante deutsche Nachwuchsspielerinnen, die Woche für Woche irgendwo ihre Leistung abliefern, für Furore sorgen und dem deutschen Frauentennis so viel Leben einhauchen wie schon lange nicht mehr. Trotzdem fällt den Medien regelmäßig nichts besseres ein als sich darüber zu echauffieren, dass "der Zverev eh nie einen Grand Slam-Titel gewinnt". Vielleicht lernt endlich mal jemand, dass der Profitennissport nicht nur aus Alexander Zverev besteht. Da hätte er bestimmt auch nichts dagegen.
Bild: nach dem Matchball im Halbfinale von Kamen. Links Mariella Thamm am Boden, rechts Schläger von Tessa Brockmann in der Luft
Turnier: Kamen 2025