Mit zweierlei Maß gemessen
Der gemeine Tennisfan mag sich in diesen Tagen die Augen reiben, wenn er sieht, wie unterschiedlich die Bewertungen der aktuellen Leistungen der deutschen Tennisprofis in den einheimischen Medien ausfallen. Während beim hochkarätig besetzten WTA-Turnier in Stuttgart gefühlt alle deutschen Spielerinnen kollektiv versagt haben, wird parallel in München ein junger Nachwuchsspieler in den Himmel gelobt, bei dem man sich mit Blick auf die nackten Ergebnisse fragt: wofür eigentlich ?
Eva Lys selbst hatte die Diskussion um die Medienberichterstattung wieder einmal angefacht, als sie via Instagram sinngemäß sagte, "ich hab gerade gegen die Nummer sechs der Welt verloren und die FAZ so: dem Himmel so fern". Tatsächlich bekommt man beim lesen des betreffenden Artikels etwas den Eindruck, als fußten die Erfolge der 23-jährigen einerseits auf Glück dank ihres Lucky Loser-Runs bei den Australian Open in diesem Jahr und andererseits auf der Leistung der anderen Deutschen, die noch schlechter als sie sind, weshalb es Lys überhaupt zur deutschen Nummer eins gebracht hat und dadurch seitdem bei Turnieren im deutschsprachigen Raum mit Wildcards für das Hauptfeld übersät wird. Dass zum Erfolg auch Können dazugehört, mag auch dem Verfasser bewusst sein, es liest sich aus diesem Artikel leider zu wenig heraus.
Die mediale Aufmerksamkeit, die Lys momentan erhält, hat allerdings weniger mit Glück zu tun als mit ihrem eigenen Auftreten selbst. Sie ist jung, hübsch, einigermaßen erfolgreich und was mindestens genauso wichtig ist: nicht auf den Mund gefallen. Dass sich an der Balance der Berichterstattung zwischen Damen- und Herrentennis in Deutschland etwas ändern wird, liegt zwar weiterhin in der Hand der verantwortlichen Journalisten, dennoch war sich die Hamburgerin nicht zu schade, dieses Ungleichgewicht öffentlich anzuprangern ("von zehn Artikeln acht über Herrentennis"). Damit hat sie sich immerhin Gehör verschafft.
Auch ein renommiertes Sportmagazin hat sich in seiner Berichterstattung am gestrigen Tag nicht wirklich mit Ruhm bekleckert. Jule Niemeier, die um ein Haar einen Satzgewinn gegen die haushohe Favoritin Jasmine Paolini aus Italien hätte feiern können, ging anscheinend - siehe Bildunterschrift - "sang- und klanglos unter". Damit dürfte sie weltweit die erste sein, der dieses Schicksal nach eigenem Satzball widerfahren ist.
Aber das alles macht ja nichts. Es gibt in Deutschland ja schließlich ein neues Wunderkind. Die Rede ist vom 17-jährigen Diego Dedura-Palomero. Und bei den Worten "17-jähriger Deutscher" bekommen wohl heute noch viele Journalisten Schnappatmung, wenn sie wieder einmal 40 Jahre zurück erinnert werden. Beim parallel ausgetragenen ATP-Turnier in München erreichte Dedura-Palomero in dieser Woche das Achtelfinale, unterlag dort jedoch mit 1:6 und 1:6 gegen den Belgier Zizou Bergs. Oder sollte man besser sagen: er ging sang- und klanglos unter ? Negative Worte lassen sich jedoch nirgendwo finden, stattdessen ging gestern "das Märchen des 17-jährigen" zu Ende.
Doch woraus genau bestand dieses Märchen ? Dedura-Palomero, der sich mittlerweile wie einst Rafael Nadal-Parera von seinem zweiten Nachnamen verabschiedet hat und nun noch unter Dedura firmiert, erhielt in München vom Veranstalter eine Wildcard für die Qualifikation, in der er zum Auftakt den an Nummer acht gesetzten Weltranglisten-100. MacKenzie McDonald klar in zwei Sätzen bezwingen konnte. Seine Reise endete jedoch vermeintlich tags darauf, als er dem an Nummer drei gesetzten Alexander Bublik in der finalen Qualifikationsrunde ebenfalls in zwei Sätzen, unterlag.
Nun meinte es das Schicksal gut mit der 17-jährigen deutschen Nachwuchshoffnung und sorgte dafür, dass er dennoch eine weitere Chance für das Hauptfeld erhalten sollte. Insgesamt fünf Plätze mussten in München mit Lucky Losern gefüllt werden, selbst der in der ersten Qualifikationsrunde gescheiterte Australier Chris O'Connell fand sich ohne Sieg in der Qualifikation im Hauptfeld wieder.
Nur das Losglück fehlte dem Deutschen. Er bekam als Auftaktgegner den an Nummer acht gesetzten Kanadier Denis Shapovalov zugelost. Die Nummer 29 der Welt schien sich am Tag des Aufeinandertreffens mit Dedura jedoch nicht im Vollbesitz seiner Kräfte zu befinden. Beim Stande von 6:7(2) und 0:3 aus Sicht des Kanadiers musste dieser aufgeben, wodurch der Deutsche in die nächste Runde einzog, in der er dann Zizou Bergs unterlag.
Ein Lucky Loser-Platz und eine Aufgabe waren es also, die den Medien genügten, um aus Dedura "Deutschlands neuen Tennis-Superstar" zu machen. Parallel dazu wird anderswo bei Eva Lys kritisiert, dass sie ihren Aufstieg Lucky Loser-Plätzen zu verdanken hätte, anstatt sich einfach darüber zu freuen, dass es sich nach schwierigen Zeiten in den letzten Jahren endlich wieder lohnt, über die deutschen Tennisdamen zu berichten.
Aber klar, Erfolge im Herrentennis, auch wenn sie noch so klein sind, ziehen natürlich mehr. Dass sich das nicht so einfach ändern wird, das weiß leider auch Eva Lys.
Turnier: Stuttgart 2025