Direkt zum Inhalt

Tatjana Maria: vom Auslaufmodell zur Queen of Queen's

Was war das nur für ein Jubel am 24. Februar dieses Jahres ? Durch ihren Einzug aus der Qualifikation in die zweite Runde von Dubai überholt Eva Lys in der Weltrangliste die bis dato beste Deutsche Tatjana Maria und übernimmt so den deutschen Spitzenplatz. Kaum ein Medium war sich zu schade dafür, diesen Generationenwechsel schlagzeilenträchtig zu verbreiten. Tenor: endlich sind die alten weg, jetzt geben die jüngeren den Ton an und das mit Eva Lys an der Spitze. Dabei stand die Hamburgerin zu diesem Zeitpunkt gerade einmal auf Platz 77 und somit nur zwei Plätze vor Maria und vier weiteren vor der damaligen deutschen Nummer drei Laura Siegemund.

Als diese übrigens am Tag, an dem die US Open begannen, erstmals den Status der deutschen Nummer eins sowohl im Einzel als auch im Doppel einnahm, suchte man die zugehörige Schlagzeile vergeblich. Dabei war diese Leistung im Alter von 36 Jahren aller Ehren wert. Nur die entsprechende Anerkennung, die blieb Siegemund verwehrt.

Doch mit Eva Lys als deutscher Nummer eins lebte es sich gut. Sympathieträgerin, Herz auf der Zunge, was will Tennis-Deutschland mehr, um mediale Aufmerksamkeit zu erhaschen ? Der Plan sollte auch zunächst aufgehen. Stück für Stück arbeitete sich Lys nach vorne bis auf Platz 59, während von anderen deutschen Spielerinnen in diesen Regionen nichts mehr zu sehen war. Irgendwo am Ende der Top 100 und darüber hinaus dümpelten Tatjana Maria und Laura Siegemund vor sich hin und es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sich beide aus dem Fokus der Öffentlichkeit vollends verabschieden würden.

Die Ergebnisse der beiden taten ihr übriges. Siegemunds bestes Ergebnis in den letzten drei Monaten war das Erreichen der zweiten Hauptrunde als Lucky Loser beim WTA 1000-Turnier in Rom, als sie verletzungsbedingt gegen Jelena Ostapenko passen musste. Ansonsten sprang nur noch wenig zählbares seit ihrem Drittrundeneinzug in Melbourne für die 37-jährige heraus. Noch schlimmer erging es ihrer Landsfrau Tatjana Maria. Anfang April hatte sie bei ihrem "Leib- und Magenturnier" in Bogota im Viertelfinale gegen die Kolumbianerin eine bittere Niederlage erlitten und den Traum vom dritten Triumph in Kolumbiens Hauptstadt begraben müssen. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen konnte: diese Niederlage war der Auftakt einer beispiellosen Niederlagenserie, wie es sie auf diesem Niveau nur selten gibt.

Zwei Niederlagen beim Billie Jean King Cup in Den Haag folgte das bittere Erstrundenaus in Stuttgart gegen Landsfrau Ella Seidel. Bei den beiden WTA 1000-Turnieren in Madrid und Rom gab es ebenfalls nichts zu holen für die zweifache Tennis-Mami. Diese sorgte sogar dafür, dass Jule Niemeier endlich auch mal wieder Grund zum Jubeln hatte. Und die Pechsträhne der 37-jährigen sollte kein Ende nehmen. In Strasbourg musste sie schon durch die Qualifikation, scheiterte dort jedoch direkt an der Tschechin Marie Bouzkova.

Nachdem auch in Roland Garros gegen die an Nummer 15 gesetzte Tschechin Barbora Krejcikova direkt Feierabend in der ersten Runde war, blieb nur noch die Hoffnung, dass sich mit Beginn der Rasensaison endlich alles zum guten wenden würde. Doch diese vermeintlich letzte Hoffnung löste sich schneller in Wohlgefallen auf als man denken konnte. Die Schweizer Qualifikantin Valentina Ryser, damals auf Platz 229 der Weltrangliste, schickte die einstige Wimbledon-Halbfinalistin nach einer Stunde und 42 Minuten mit 6:7(2) und 5:7 nach Hause.

Ein neuerlicher Tiefpunkt schien erreicht. Wenn es schon auf dem besten Belag gegen eine Spielerin nicht mehr reicht, die vom Ranking her nicht einmal an Grand Slam-Qualifikationen teilnehmen darf, dann wäre es wohl doch langsam aber sicher an der Zeit, den Schläger an den Nagel zu hängen. Der Wunsch, darauf warten zu wollen, bis man den Platz mit der eigenen Tochter auf der Tour teilen kann, mag nostalgisch klingen, doch ist es das wert, um jahrelang irgendwo im Niemandsland herumzudümpeln ?

Die Liebe zu diesem Sport ist es, die Tatjana Maria immer wieder angetrieben hat. Und mögen die Rückschläge auch noch so heftig sein, in ihrer langen Karriere ist sie immer wieder aufgestanden und was noch dazu kommt: sie ist immer besser geworden. Vor der Geburt ihrer ersten Tochter blieb sie auf der Tour titellos, danach feierte sie ihren ersten Triumph auf Mallorca. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes folgten zwei weitere Titelgewinne in Bogota. Maria weiß also, was es heißt, am Boden zu liegen und auch, was es heißt, ganz oben zu sein. Also nichts wie weiter zum nächsten Abenteuer, dem ersten Turnier der Frauen im Londoner Queen's Club nach 52 Jahren.

Bei diesem vollbepackten WTA 500-Turnier blieb Maria als Weltranglisten-86. nur die Rolle der Qualifikantin. Doch diese schien sie komplett verinnerlicht zu haben. Gegen Hao-Ching Chan und Arina Rodionova gab sie in vier Sätzen gerade einmal sechs Spiele ab und qualifizierte sich für das Hauptfeld, als sei es das einfachste auf der Welt. Hier drohte ihr jedoch gleich zu Beginn Ungemach, schließlich stand ihr die ehemalige US Open-Finalistin Leylah Fernandez hier gegenüber. Immerhin hatte Maria in sofern Glück, als dass sie es nicht direkt mit einer gesetzten Spielerin zu tun bekam. Und tatsächlich konnte die 37-jährige die Gunst der Stunde nutzen. Mit 7:6(4) und 6:2 feierte Maria nach über zwei Monaten wieder einen Sieg im Hauptfeld eines WTA-Turniers. Die lange Durststrecke schien endlich überwunden.

Damit hätte die Wiederauferstehung der Tatjana Maria eigentlich auch enden können. Unterliegt sie im Achtelfinale der an Nummer sechs gesetzten Tschechin Karolina Muchova würde jeder sagen, gegen eine ehemalige Grand Slam-Finalistin kann jeder mal verlieren. Doch Maria tat dies nicht. Mit Sicherheit half ihr bei ihrem 6:7(3), 7:5 und 6:1-Erfolg der Umstand, dass ihre Gegnerin ab Mitte des zweiten Satzes nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräfte zu sein schien. Dennoch muss man auch solch ein Match erst zu Ende spielen. Das Viertelfinale war Maria nun sicher und ihre Krise … welche Krise ?

Die Aufgaben für die Qualifikantin wurden im Londoner Queen's CLub nicht einfacher. Im Viertelfinale wartete nun keine Grand Slam-Finalistin, sondern gleich eine Grand Slam-Siegerin. Elena Rybakina gewann im selben Jahr in Wimbledon, in dem Maria im Halbfinale stand. Und in dieser Partie kristallisierte sich das heraus, womit auch ihre späteren Gegnerinnen zu kämpfen hatten. Die Bad Saulgauerin ist seit eh und je für ihre unkonventionelle Spielweise bekannt. Ein Slice hier, ein Slice da und schon landet der Ball der Gegnerin entweder im Netz oder außerhalb des Feldes. Auf Dauer mag dies ohne Frage nicht schön anzusehen sein, doch selbst Otto Rehhagel sagte einst über die Kritik an seinem altmodischen Spielstil mit den griechischen Europameistern: "modern ist, was erfolgreich ist".

Wie modern Maria in der Woche im Queen's Club agierte, zeigte sich nicht nur beim 6:4 und 7:6(4)-Erfolg über Rybakina, auch die amtierende Australian Open-Siegerin Madison Keys verzweifelte eine Runde später am variantenreichen Spiel der Nummer 86 der Welt. Mit 6:3 und 7:6(3) schickte die deutsche Tennismama die haushohe Favoritin nach Hause und diese konnte es mittlerweile selbst kaum glauben, dass sie immer noch im Turnier ist, nachdem ihr doch ein Hochkaräter nach dem anderen gegenüberstand.

Neun Matches in Folge hatte Maria vor Beginn des Turniers in Queen's verloren mit dem negativen Höhepunkt in Birmingham gegen Valentina Ryser. Nun stand sie hier, wo sie noch nie in ihrer Karriere gestanden hatte: im Finale eines WTA 500-Turniers. Nur die US-Amerikanerin Amanda Anisimova konnte sie noch von einer der größten Sensationen im Tennissport der letzten Jahre abhalten. Diese hatte im Halbfinale die topgesetzte Chinesin Qinwen Zheng in die Schranken gewiesen und doch hatte man vor dem Finale das Gefühl: wenn Maria schon so weit kommt, dann macht sie auch den letzten Schritt.

Dieses Gefühl sollte sich am Finaltag bestätigen. Eine Stunde und 23 Minuten benötigte Maria, um sich selbst am Ende einer langen Woche nach sieben Siegen in Folge zur "Queen of Queen's" zu krönen. Mit 6:4 und 6:3 besiegte sie ihre US-amerikanische Gegnerin und zu keinem Zeitpunkt in diesen knapp eineinhalb Stunden hatte man ernsthaft das Gefühl, als könnte die Qualifikantin dieses Match verlieren. Auch ihrer Gegnerin blieb nichts anderes übrig, als ihr bei der Siegerehrung den allerhöchsten Respekt zu zollen.

Das Auslaufmodell mit der unfassbaren Niederlagenserie hatte wieder einmal allen gezeigt, dass sie noch immer nicht zum alten Eisen gehört. Um die Dimension dieses Triumphes erfassen zu können, sei gesagt, dass der letzte deutsche Titel in dieser oder einer höheren Turnierkategorie bereits über sieben Jahre her ist. Im Finale des Turniers von Sydney besiegte Angelique Kerber im Januar 2018 eine gewisse Ashleigh Barty mit 6:4 und 6:4 - jene Ashleigh Barty, die sich wenig später aufmachte, die Tennisszene von der Spitze aus beinahe nach Belieben zu dominieren. Da erkennt man, wie viele Jahre die deutschen Damen bei großen Turnieren faktisch keine Rolle spielten. So lange, bis Maria kam.

Ausgerechnet Maria !

Veröffentlichungsdatum:
Turnier: London 2025