Ella Seidel: Unverhofft im Rampenlicht

12.01.2024 - 13:37
Ella Seidel

Wie schnell sich die Welt im Tenniszirkus manchmal drehen kann, das erlebt seit einigen Tagen die deutsche Nachwuchshoffnung Ella Seidel. Noch vor wenigen Monaten tingelte die 18-jährige auf einer langen Reise durch solch unbekannte Dörfer wie Quinta do Lago und Slobozia, um bei den dortigen niederklassigen ITF-Turnieren die notwendigen Punkte zu sammeln, damit sie endlich einmal an einer Qualifikation für ein Grand Slam-Turnier teilnehmen darf. Spätenstens heute kann man sicher sagen: die Reise hat sich gelohnt.

Denn mittlerweile geht es für Seidel nicht mehr darum, einmal bei einem Grand Slam-Turnier in der Qualifikation aufschlagen zu dürfen. Das hat die Hamburgerin bravourös gemeistert. Nun wartet auf die deutsche Meisterin von 2022 die ganz große Bühne: die Night Session in der Rod Laver Arena ist für sie bereits gebucht.

Den 14. Januar 2024 wird Ella Seidel mit Sicherheit in ihrer ganzen Tenniskarriere nie vergessen. Man mag es Lospech nennen, bedenkt man, dass man als Qualifikantin auch Gegnerinnen wie McCartney Kessler oder Sara Errani in der ersten Runde hätte zugelost bekommen können. Doch dadurch, dass auf sie ausgerechnet ein Match gegen Titelverteidigerin Aryna Sabalenka wartet, erlebt sie nun mit ihren 18 Jahren etwas, von dem nicht viele Spielerinnen in ihrem Alter erzählen können.

Sobald Novak Djokovic am Sonntag abend (Start 19 Uhr Ortszeit) seinen Arbeitstag beendet hat, schlägt Seidels große Stunde. Die Chancen auf ein Weiterkommen gegen die aktuelle Nummer zwei der Welt liegen gefühlt zwar nur im Promillebereich, doch erstmals in ihrer noch jungen Karriere werden sich alle Augen nur auf sie richten. Sie, die in der zweiten Qualifikationsrunde eigentlich schon in Richtung Flughafen unterwegs war, nachdem sie gegen Francesca Jones im dritten Satz bereits mit 0:4 hinten gelegen hatte.

Natürlich spielte ihr auch das Schicksal in die Karten, als ihre Gegnerin beim Stande von 4:4 aufgeben musste. Doch das Tennisgeschäft ist hart und auch Seidel weiß, dass man die Chancen nutzen muss, die sich einem nun mal bieten. Und so hat die Hamburgerin nicht nur am Donnerstag das bestmögliche für sich herausgeholt, sondern auch am Freitag gleich zu Beginn gegen die US-Amerikanerin Haley Baptiste klar gemacht, wer hier den Platz als Siegerin verlassen würde. Dass die nächste Gegnerin Aryna Sabalenka heißen würde, daran war in diesem Moment noch nicht zu denken. Schließlich waren noch 15 weitere potenzielle Gegnerinnen in der Verlosung.

Vor gerade mal einem Jahr stand Seidel in der Weltrangliste noch auf Platz 582. Ihr größter Erfolg auf der Tour dürfte bis dato der Einzug ins Viertelfinale beim Ladies & Gents Cup in Hamburg (ITF W60) gewesen sein. Auch beim WTA-Turnier in ihrer Heimatstadt hat sie als damals noch 17-jährige bereits aufgeschlagen. Mit einer Wildcard für die Qualifikation traf sie in der ersten Runde auf die Rumänin Alexandra Ignatik.

Die Partie ging zwar deutlich mit 2:6 und 1:6 verloren, doch ihre ersten Schritte auf WTA-Ebene hatte die junge Nachwuchshoffnung dadurch gemacht. Ob sie es damals wohl für möglich gehalten hätte, dass sie gerade einmal 18 Monate später in der Rod Laver Arena aufschlägt ? Sie hätte wohl jeden für verrückt erklärt.

Daher heißt es am Sonntag morgen gegen 11 Uhr für alle deutschen Tennisfans: einfach nur zurücklehnen und genießen. Selbst wenn sie am Ende krachend untergehen sollte: bei diesem Grand Slam-Turnier hat Ella Seidel den Grundstein für ihre weitere erfolgreiche Tenniskarriere gelegt. Und damit hat sie ohnehin schon gewonnen.