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Deutsches Damentennis doch nicht am Boden

Das Grand Slam-Turnier von Paris hat mit Iga Swiatek seine mehr als hochverdiente Siegerin. Eine 19-jährige aufstrebende Spielerin, die man zwar schon länger auf dem Zettel hatte, der man aber nun nicht wirklich den ganz großen Wurf so früh zugetraut hätte. Glückwunsch nach Polen, da scheint unser Nachbarland ein echtes Ausnahmetalent hervorgebracht zu haben. Zumindest die Art und Weise, wie Swiatek ihren Titel errang, lässt darauf schließen, dass der heutige Tag keine Eintagsfliege war, sondern den Anfang einer großen Karriere einleitete.

Ausnahmetalente hatten wir in Deutschland auch schon. Lange Zeit danach war es üblich, dass wir alle anderen damit verglichen haben, bis wir gelernt haben, dass Ausnahmetalente deswegen so heißen, weil es sie eben nur sehr selten gibt. Tennis-Deutschland ist aktuell froh, wenn es zumindest in der Weltspitze mitmischen kann. In den letzten Jahren ist uns das auch immer wieder gelungen, bis Roland Garros 2020 sich anschickte, einen neuen Tiefpunkt im deutschen Damentennis darzustellen.

Natürlich hat eine Angelique Kerber bei den US Open wenige Wochen zuvor das Achtelfinale erreicht. Schaut man auf ihre momentane Formkurve, war das ohne Frage ein großer Erfolg. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele Topspielerinnen auf die Reise in die USA verzichtet hatten, was Kerber eine bessere Setzposition verschaffte und sie zudem das Glück hatte, drei Runden lang nicht auf eine gesetzte Spielerin zu treffen. Als ihr diese dann mit Jennifer Brady gegenüber stand, war es auch schon vorbei mit dem Ausflug nach Flushing Meadows und das doch ziemlich deutlich.

Davon zu sprechen, dass das deutsche Damentennis am Boden ist, war nach den Darbietungen der deutschen Spielerinnen in den ersten beiden Turniertagen von Paris durchaus legitim. Vier Spielerinnen waren gestartet, alle vier konnten gleich danach wieder die Koffer packen, sofern sie nicht wie Anna-Lena Friedsam noch im Doppelwettbewerb aktiv waren. Es drohte vor dem letzten Erstrundenspieltag aus deutscher Sicht ein Debakel. Nur noch Laura Siegemund und Julia Görges hatten noch die Chance auf die zweite Runde, in der sie zudem, sollten beide weiterkommen, aufeinandertreffen würden. Das deutsche Damentennis bewegte sich also zwischen alle raus in Runde eins und eine sicher dabei in Runde drei.

Dass es am Ende letztendlich doch zu diesem rein deutschen Duell kam, war nicht wirklich abzusehen. Laura Siegemund hatte die letzte Partie gegen ihre Kontrahentin Kristina Mladenovic verloren und Julia Görges ging in ihrer letzten Partie vor Paris gegen die Montenegrinerin Danka Kovinic förmlich unter, als sie gerade mal einen Spielgewinn gegen sie verbuchen konnte. Die an 19 gesetzte US-Amerikanerin Alison Riske schien da zum Auftakt eine unbezwingbare Hürde darzustellen.

Siegemunds Erfolg gegen Mladenovic war nach 1:5-Rückstand im ersten Satz ohne Frage erkämpft und verdient. Natürlich wird diese Partie bis heute überschattet von der Szene, als Siegemund bei Satzball Mladenovic einen Ball spielt, der gerade das zweite Mal auf dem Boden aufgekommen war, aber nicht von der Schiedsrichterin geahndet wurde. Möglicherweise hätte die Deutsche auch nach 1:6 das Match noch drehen können, wissen tut man das natürlich nicht.

Julia Görges machte in ihrer Auftaktpartie das, was sie am liebsten macht: die Gegnerin dominieren. Eineinhalb Sätze sah sie wie die ungefährdete sichere Siegerin aus, führte im zweiten Satz gegen Riske bereits mit 4:0 und schaffte es dennoch, diesen noch im Tie-Break zu verlieren. Der dritte Satz hingegen verlief wieder ähnlich wie der erste und so konnte auch sie den Platz als Siegerin verlassen.

Damit war klar: zwei deutsche Spielerinnen haben ihr Auftaktmatch gewonnen. Bei insgesamt sechs Starterinnen ist dies nicht gerade die schlechteste Ausbeute, auch wenn die Niederlage von Angelique Kerber gegen Kaja Juvan den deutschen Tennisfan doch sehr ratlos zurücklässt, da dieser Sieg doch eigentlich fest eingeplant war.

Das deutsche Duell zwischen Görges und Siegemund in Runde zwei entpuppte sich als qualitativ extrem schwaches Match, in den zunächst Siegemund keinen Rhythmus fand, dann aber von der hohen Fehlerquote ihrer Gegnerin profitierte und das Match in drei Sätzen nach Hause brachte. Somit war die Stuttgarterin die letzte verbliebene Deutsche im Feld.

Eine Deutsche in Runde drei, das war ungefähr das, was man vor Turnierbeginn als Soll bezeichnet hätte. Natürlich hatte man dies in erster Linie von Angelique Kerber erwartet, die als gesetzte Spielerin eine günstigere Auslosung als alle anderen hatte, dass nun aber Siegemund in die Bresche springt, sollte die Bilanz nicht schmälern.

Und Siegemund war es auch, die in den kommenden Tagen für Furore sorgen sollte. Die verletzungsbedingte Aufgabe im Doppel nach Erreichen von Runde drei im Einzel wirkte wie ein taktisches Manöver. Ein Blick auf das Draw dürfte auch der 32-jährigen verraten haben, dass nun mehr drin sein könnte in der Einzelkonkurrenz und es wohl sinnvoll wäre, sich die Körner, die man noch hat, einzuteilen.

Und der Plan, wenn er denn so war, ging auch auf. Die an 18 gesetzte Kroatin Petra Martic gewann zwar den ersten Satz gegen Siegemund, war danach aber nur noch in der Zuschauerrolle und sah, wie sie mit 3:6 und 0:6 am Ende komplett unterging. Auch im Achtelfinale musste Siegemund einen holprigen Start überstehen und lag mit 3:5 gegen die Spanierin Paula Badosa zurück. Den Satz aber gewann sie dennoch und am Ende auch in zwei Sätzen das Match.

Grand Slam-Viertelfinale in Paris ! Das gab es von den noch aktiven aus deutscher Sicht nur von Angelique Kerber und von Andrea Petkovic, die 2014 nach dem Sieg über Sara Errani sogar das Halbfinale erreichen konnte, in dem sie Simona Halep unterlegen war. Für Siegemund hingegen stelllte dies absolutes Neuland dar und doch schien der Tennisgott, der ihr in der Form ihres Lebens einen Kreuzbandriss bescherte, ihr diesmal wohlgesonnen zu sein und schenkte ihr sozusagen mit dreijähriger Verspätung das, was sie 2017 schon hätte erreichen können.

Doch auch das schönste Märchen geht irgendwann zu Ende und so musste auch Laura Siegemund anerkennen, dass Petra Kvitova am Viertelfinaltag schlichtweg die bessere Spielerin war. Natürlich war die Deutsche weit von ihrer Bestform entfernt und machte zu viele einfache Fehler, doch selbst in den Phasen, in denen sie fehlerlos agierte, konnte man erkennen, wer an diesem Tag die Oberhand behalten würde.

Und so sieht das Fazit nach dem Turnier doch etwas anders aus, als wie man es nach zwei Turniertagen gezogen hätte. Das deutsche Damentennis zählt aktuell zwar nicht zur Weltspitze, doch es hat immer noch die Fähigkeiten, die Topspielerinnen zu ärgern. Jetzt in Paris gelang das Siegemund, die sich in einen wahren Rausch gespielt hat, beim nächsten Mal ist es vielleicht eine andere.

Vor einigen Jahren prägte die damalige Fed Cup-Teamchefin Barbara Rittner den Slogan "Hauptsache eine kommt durch", bezogen auf die zweite Woche bei Grand Slams. Solange das der Anspruch des deutschen Damentennis ist und es diesem auch gerecht werden kann, verkürzt es die Zeit, bis der Nachwuchs endgültig in die Fußstapfen der Generation Kerber/Petkovic tritt. Möglicherweise ist der dann schon älter als 19, doch wie gesagt: Iga Swiatek ist ein Ausnahmetalent. Und an dem sollen andere bekanntlich nicht gemessen werden.

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