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Bye, bye, advantage set !

Ursprünglich sprach man von einer "einjährigen Testphase", als man bei allen vier Grand Slams im letzten Satz bei 6:6 einen Matchtiebreak spielen wollte, um die Entscheidung in einer Partie herbeizuführen. Doch das Jahr ist mittlerweile längst vorbei und man muss kein Prophet sein, um zu konstatieren: der "advantage set", also der Satz, der mit zwei Spielen Differenz enden muss, um beendet zu sein, ist endgültig Geschichte.

Es steht außer Frage: der Tennissport hat sich in den vergangenen 30-40 Jahren verändert. Er ist schneller und athletischer geworden und gefühlt ist der Unterschied zwischen der Nummer eins und der Nummer 100 der Welt heute deutlich geringer als noch zu Zeiten von Steffi Graf. Klar, dass sich ein Sport daher verändern und mit der Zeit gehen muss. Diese Zeichen der Zeit hat der Tennissport auch erkannt. Die Frage jedoch bleibt: ist man hier über das Ziel hinausgeschossen ?

4:6, 15:13, 8:10, 6:2 und 6:2. Den jüngeren Tennisfans sei gesagt: das ist ein Tennisergebnis. Und zwar eins aus der Zeit, als Millionen Deutsche auch bei Sätzen, die noch länger als 28 Spiele gedauert hätten, gebannt vor dem Fernseher mitfieberten. Es ist das Ergebnis von Boris Becker gegen John McEnroe, gespielt am 24. Juli 1987 beim Davis Cup in Hartford, CT, als es zwischen Deutschland und den USA um den Verbleib in der Weltgruppe ging.

Dieses Match gilt heute noch als legendär. Es wird auch in 50 Jahren noch legendär sein. Weil Nuancen nach sechs Stunden und 39 Minuten den Ausschlag gaben. Hätte McEnroe auch den zweiten Satz gewonnen, wahrscheinlich würden sich heute nur noch die wenigsten an diesen etwas ungewöhnlich hohen Dreisatzsieg, der er gewesen wäre, erinnern.

Bis zum Ende der 1980er-Jahre blieb es dem Davis Cup als letzter Institution vorbehalten, komplett auf eine Satzentscheidung im Tie-Break zu verzichten. Erst da reagierte man auf die teilweise extrem lange Spieldauer und die Tatsache, dass Matches teilweise bis nach Mitternacht Ortszeit gespielt wurden. Neben der Einführung des Tie-Break in den Sätzen eins bis vier einigte man sich auch auf eine Uhrzeit, ab der das Match abgebrochen werden und erst am nächsten Tag zu Ende gespielt werden sollte.

Heutzutage ist man von solchen Regelungen meilenweit entfernt. Der Davis Cup hat seinen besonderen Stellenwert spätestens verloren, als im Jahre 2018 von best-of-five auf best-of-three umgestellt und ab da zudem der letzte Satz ebenfalls im Tie-Break ausgespielt wurde. Ab diesem Moment bestand der Davis Cup aus normalen Matches wie sie sonst auch auf allen anderen Turnieren üblich sind. Eine Magie wie 1987 in Hartford ? Die gibt es nicht mehr.

Und sie wird auch nicht wieder kommen. Denn nicht nur der Davis Cup, der ohnehin nur die Männer betrifft, wurde vom Reformwahn der ITF überrumpelt, auch der Fed Cup der Frauen durfte daran glauben. Mit der Davis Cup-Reform 2018 schaffte man gleichzeitig ohne Not auch im Fed Cup den "advantage set" in letzten Satz ab. Seitdem wird auch hier ganz normal best-of-three gespielt, das aber mittlerweile nicht mehr unter dem gängigen Namen "Fed Cup", sondern unter der deutlich leichter von der Zunge gehenden Bezeichung "Billie Jean King Cup". Glückwunsch !

Den Mannschaftswettbewerben war somit der besondere Reiz ab spätestens 2018 genommen, zum Glück aber gab es ja noch die Grand Slam-Turniere, zumindest drei davon. Mit Ausnahme der US Open, die den Tie-Break schon in den 80er-Jahren auch im fünften Satz eingeführt hatten, galt in Paris, Wimbledon und Melbourne: steht es im fünften Satz 6:6, dann spielen wir solange weiter, bis einer der beiden Spieler einen Vorsprung von zwei Spielen hat. Und wenn es Weihnachten wird.

Auf die Spitze wurde diese Regelung nur einmal getrieben. Doch auch hier gilt: hätte das Match nicht so geendet, würde sich kein Mensch mehr daran erinnern. Am 24. Juni 2010 besiegte der US-Amerikaner John Isner den Franzosen Nicolas Mahut nach einer Gesamtspielzeit von elf Stunden und fünf Minuten gespielt über drei Tage mit 6:4, 3:6, 6:7(7), 7:6(3) und 70:68. Schätzungsweise konnte sich zuvor niemand vorstellen, dass es einmal so dermaßen ausarten würde, doch dieses Match gilt heute als die Initialzündung dafür, dass auch bei den Grand Slam-Turnieren über Wege der Spielverkürzung nachgedacht wurde.

Den endgültigen Ausschlag gaben 2018 die Wimbledon-Halbfinals der Männer, die beide über die komplette Distanz und zudem in die Verlängerung gingen. Zunächst besiegte Novak Djokovic Rafael Nadal mit 10:8 im fünften Satz, ehe Kevin Anderson gegen John Isner mit 26:24 das bessere Ende für sich hatte. Hier musste sogar das traditionale Wimbledon einsehen, dass es so nicht weitergehen konnte und führte am 2019 einen Tie-Break beim Stande von 12:12 im fünften Satz ein, der seine Premiere ausgerechnet beim Finale im Jahr danach zwischen Novak Djokovic und Roger Federer erleben durfte.

Doch den Tie-Break bei 12:12, den gibt es nicht mehr. Die Australian Open hatten mittlerweile ebenso auf diese ausufernden Ergebnisse reagiert und für sich den Matchtiebreak als Entscheidung bei 6:6 im letzten Satz entdeckt. Somit galt ab 2019 Roland Garros als das noch einzig "echte" Grand Slam-Turnier, bei dem der letzte Satz auch noch richtig ausgespielt wurde.

Das war einmal. Nachdem mittlerweile jedes Grand Slam-Turnier seinen eigenen Regeln in puncto Entscheidungssatz folgte, beendete im März 2022 eine Einigung unter allen vieren auch den letzten verbliebenen "advantage set" auf der Tour. In einer einjährigen Testphase, beginnend in Roland Garros 2022 und endend in Melbourne 2023 sollte der Matchtiebreak als finale Entscheidung im letzten Satz bei allen vier Grand Slam-Turnieren erprobt werden. Obwohl dies hier noch als "Probelauf" deklariert wurde, war jedem Tennisfan klar: der Satz, der 8:6, 9:7 oder noch höher enden könnte, wird nie wieder zurückkommen. Und wenig überraschend wurde auch nach der angeblich zeitlich begrenzten Testphase weiter mit dem Matchtiebreak im letzten Satz gespielt ohne dass es hierfür ein Statement von offizieller Seite gab.

So bleibt den Tennisfans nur zu hoffen, dass nicht irgendeiner der Verantwortlichen auf die Idee kommt, sich für die Regelung des letzten ausgetragenen Hopman Cups in Perth stark zu machen. Dort entschied nämlich einzig und allein der letzte gespielte Punkt darüber, welche der beiden Mannschaften den Titel holen würde. Wenn es irgendwann auf der Tour so weit kommt, dann gute Nacht.

Fans für seine Sportart gewinnt man nicht, indem man sie immer weiter "kastriert". Fans gewinnt man durch epische Momente, die durch die Weltpresse gehen. "Schlacht von Hartford 1987", "Isner - Mahut Wimbledon 2010" - das würde dem Sport auch heute für seine Popularität gut tun. Problem nur: das wird es nie wieder geben. Schade eigentlich.

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