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"Wie gewonnen, so zerronnen" - der WDR hat leider recht

WDR BerichtEin Bericht des WDR bringt es leider wieder ans Licht: das Versagen der Funktionäre des DTB. Der einst reichste Tennisverband der Welt ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Gründe des Scheiterns im Laufe des letzten Jahrzehnts werden schonungslos dargelegt. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle im Niedergang des Volkssports Tennis.

Als 1995 der erste große Boom in Deutschland durch die Wimbledonsiege von Boris Becker (1985, 1986 und 1989) und Michael Stich (1991) längst zu verblassen begann, handelte der Deutsche Tennis-Bund den wohl größten Deal seiner Geschichte aus. Für die Übertragungsrechte von Davis Cup und Fed(eration) Cup kassierte der Verband die stolze Summe von 125 Millionen DM über eine Laufzeit von fünf Jahren. Tennis stand somit Mitte der 90er Jahre in Deutschland auf einer Stufe mit Fußball, dessen Rechte zu dieser Zeit ungefähr denselben Wert besaßen.

Heute, nicht einmal 20 Jahre später, ist der DTB froh, dass es überhaupt irgendeine Möglichkeit für die deutsche Öffentlichkeit gibt, Live-Tennis von den Mannschaftswettbewerben zu verfolgen. Die Übertragung auf ran.de wird von den Verantwortlichen als Erfolg verbucht. Wäre jemand vor 20 Jahren auf die Idee gekommen, Tennis vom TV-Bildschirm zu verbannen und stattdessen den Übertragungsweg Internet zu wählen (falls es diesen damals bereits gegeben hätte), hätte man ihn wohl standrechtlich erschossen. Tennis ohne TV ? Lange Zeit ein Unding, in Deutschland jedoch spätestens seit diesem Jahr Realität.

Wie kam es dazu ? Der Deutsche Tennis-Bund hatte schlichtweg in den späten 90er Jahren die Entwicklung verschlafen. Die Karrieren von Boris Becker, Michael Stich und Steffi Graf neigten sich langsam dem Ende entgegen bzw. waren bereits beendet und adäquate Nachfolger waren nicht in Sicht. Sobald irgendeine(r) nur einen Schläger gerade halten konnte, wurde er in der Boulevardpresse als "neuer Boris" bzw. "neue Steffi" gehandelt. Im Gegenzug warf man das Geld mit beiden Händen für Antrittsgelder in Millionenhöhe sowie Sanierungen, die in keinem Verhältnis zum Nutzenfaktor stehen, aus dem Fenster.

Natürlich gab es auch abseits der "großen drei" Erfolge für das deutsche Tennis zu verzeichnen, doch wie beispielsweise im Falle des French Open-Viertelfinalisten Hendrik Dreekmann stellten sich diese Spieler(innen) entweder als Eintagsfliegen heraus oder waren aufgrund ihrer Erscheinung nicht so massentauglich wie Becker, Graf und Stich es waren. Auch Anke Huber konnte nie annähernd die Popularität ihrer berühmten Vorgängerin erreichen.

Es liegt auch keinesfalls an der Sportart an sich oder der im Tennis unsicheren Spieldauer, dass sie es in den letzten Jahren immer schwerer hat, in der Öffentlichkeit Gehör zu finden. Anfang der 90er Jahre hatten wir noch echte Typen in unseren Reihen. Der emotionale Boris Becker, der bei jeglicher Gelegenheit die Zuschauer an seiner Gefühlswelt teilhaben ließ, bekam durch die Erfolge des Michael Stich einen adäquaten Gegenpart und nichts ließ sich in der Presse besser verkaufen als die (nie wirklich in dieser Form dagewesene) Rivalität der beiden deutschen Weltklasseathleten.

Durch Becker und Stich waren grundsätzlich hohe, meist zweistellige Einschaltquoten garantiert. Nicht umsonst sprang bereits in den späten 80er Jahren RTLplus auf den Erfolgszug auf und sicherte sich für eine horrende Summe die Übertragungsrechte am Wimbledon-Turnier. Weitere sollten folgen. Über die Dauer von Tennismatches machte sich kein Mensch Gedanken. Im Gegenteil: je länger das Match, umso länger hohe Zuschauerzahlen und damit generierte man auch höhere Werbeeinnahmen.

Mit wem soll der DTB heute werben als Zugpferd im deutschen Tennis ? Mit einem alternden Tommy Haas, dessen Karriere sich längst im Spätherbst befindet ? Oder mit Mr. Bad Guy Philipp Kohlschreiber, der zwar einerseits recht erfolgreich auf der Tour agiert, der breiten Öffentlichkeit jedoch wohl nur im Zusammenhang mit dem "Absägen" des Davis-Cup-Teamchefs Patrik Kühnen bekannt sein dürfte ?

Mit deutschem Herrentennis ist schlichtweg zur Zeit kein Staat zu machen. Also schaut man sich die Damen an. Hier fällt auf, dass trotz monatelangem Ausfalls in der Presse immer und immer wieder der Name Andrea Petkovic fällt. Unabhängig davon, wie viele Erfolge die anderen deutschen Mädels vorzuweisen haben, in den Medien dominiert die Darmstädterin.

Und das hat seinen guten Grund. Als Petko sich 2011 Platz um Platz in der Weltrangliste hochkämpfte, wartete jeder Zuschauer nur darauf, dass Petkovic ihre Partie gewinnt, um etwas zu erleben, wofür sie auf der Tour nunmal das Alleinstellungsmerkmal hatte: den Petko-Dance. Genau damit hob sich Petkovic von allen anderen Spielerinnen ab und weckte somit das Interesse, das ihr in der Folge auch den einen oder anderen Werbevertrag einbringen sollte.

Wer momentan einen ähnlichen Weg geht, jedoch leider nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist ausgerechnet diejenige, der Petkovic am gestrigen Abend eine böse Abfuhr erteilte. Yulia Putintseva gehört zwar noch nicht zur Weltspitze, die Anlagen hierzu sind allemal vorhanden. Und was noch wichtiger als ihr Spiel ist: sie kann sich wunderbar in Szene setzen. Selbstgespräche, Jubelschreie, Ausraster - all das, was uns einst an Boris Becker so faszinierte, bringt sie mit auf den Platz. In Doha schaffte sie es sogar, dass ihre Gegnerin Mona Barthel gegen Ende der Partie selbst solche Gefühlsregungen von sich gab - wenn auch nur als Parodie auf die ihr gegenüber stehende Spielerin.

Natürlich wollen wir auch interessanten Sport sehen, doch wenn dieser uns damit versüßt wird, dass wir erkennen, dass auf dem Platz Menschen wie du und ich stehen, können wir uns mehr in die Spieler hinein versetzten und so kommen wir diesem Sport auch auf emotionaler Ebene wieder näher. Wenn wir aber lediglich Maschinen betrachten, die strikt ihre Arbeit verrichten, zeugt dies nicht von einem allzu großen Unterhaltungswert und ist somit vom einstigen "Volkssport" weit entfernt.

Sollte es also Tennis-Deutschland eines Tages schaffen, Erfolg gepaart mit Emotionen auf den Platz zu bringen, findet der Sport auch wieder den Weg zurück in die heimischen TV-Geräte. Wie lange dies dauern wird ? Hellseher, übernehmen Sie !

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