Der Beltz-Faktor
Das deutsche Frauentennis scheint in diesen Tagen aus seiner jahrelangen Lethargie zu erwachen. Seit dem Abschied von Angelique Kerber in ihre Babypause nach dem Wimbledon-Turnier 2022 waren deutsche Erfolge auf WTA-Ebene rar gesät. Zwar gelang Tamara Korpatsch beim Turnier in Cluj 2023 der bis heute letzte WTA-Titelgewinn einer deutschen Spielerin und auch Laura Siegemund stand zwischenzeitlich in zwei WTA-Finals (Warschau 2023 und Hua Hin 2024), doch bei den großen Turnieren, bei denen die komplette Weltelite am Start war, blieb den deutschen Damen, wenn es in die heiße Phase ging, lediglich die Zuschauerrolle.
Die Misere der vergangenen Jahre gipfelte im Herbst des vergangenen Jahres, als es kurzzeitig so aussah, als könnte nach den US Open tatsächlich eine Weltrangliste ohne eine einzige deutsche Spielerin in den Top 100 erscheinen. Der Einzug in die dritte Runde von Jule Niemeier - im übrigen der einzige einer Deutschen bei einem Grand Slam-Turnier im kompletten Jahr 2024 - aber verhinderte dieses "worst case scenario". Vom Glanz früherer Zeiten war man am Ende der letzten Saison dennoch weit entfernt.
Es mag eine subjektive Wahrnehmung sein, dennoch beschleicht einen das Gefühl, als habe der DTB mit der Verpflichtung des neuen Chef-Bundestrainers Torben Beltz das deutsche Frauentennis wachgeküsst. Alle vier deutsche Spielerinnen im Hauptfeld der Australian Open überstehen die erste Runde, wann gab es das zuletzt ? Wenig später erdreistet sich Laura Siegemund einfach vor den Augen des neuen DTB-Chefcoachs, die amtierende Olympiasiegerin hochkant aus dem Wettbewerb zu befördern. Beltz hatte bereits in der letzten Saison in seiner Funktion als United Cup-Kapitän Siegemund in der entscheidenden Phase das Vertrauen für die entscheidenden Mixed-Partien geschenkt und wurde dafür mit dem Titel belohnt. Wenig überraschend kam da die herzliche Umarmung der beiden nach dem wohl überraschendsten Sieg in der langen Karriere der 36-jährigen.
Natürlich ist es nicht Beltz, der auf dem Platz steht. Die Punkte müssen die Damen schon selbst einfahren. Doch während man bei Beltz' Vorgängerin als Begründung für die schwachen Leistungen der deutschen Damen insbesondere im Nachwuchsbereich stets etwas von "zu wenig Kampfgeist", "zu wenig Wille" oder "zu viel mit anderen Dingen beschäftigt" vernahm und sie die Spielerinnen somit auf diese Art unter Druck setzte, scheint der neue Coach die richtige Formel dafür gefunden zu haben, wie man seine Schützlinge richtig motiviert bzw. wie man den Druck von ihnen nimmt, damit sie in ihren Matches nicht zu verkrampft agieren. Das Paradebeispiel für Spielen ohne jeglichen Druck lieferte am Dienstag die in Melbourne von Beltz trainierte Eva Lys, die als Lucky Loser einfach auf den Platz ging, ihr bestes gab und sich mittlerweile statt auf der Couch in Hamburg bei den Australian Open in der dritten Runde befindet. Ein Märchen, wie es das deutsche Tennis schon lange nicht mehr erlebt hat, das "gekappte" Wimbledon-Turnier 2022 mal ausgenommen.
Die ersten Eindrücke, die man zu Beginn des Jahres von der Arbeit des 48-jährigen zu sehen bekam, erschienen recht vielversprechend. Beltz scheint viel Wert darauf zu legen, dass die Stimmung untereinander stimmt und auch der Spaß an der Sache nicht verloren geht. Bei den Australian Open scheint diese Formel schon einmal zu greifen. In wieweit er seinen Einfluss auf die Nachwuchsarbeit von Dirk Dier und Jasmin Wöhr geltend macht, wird man im Laufe dieser Saison insbesondere bei den deutschen ITF-Turnieren erkennen können. Hier wäre es möglicherweise hilfreich, wenn man sich etwas breiter aufstellen würde, was die aufstrebenden Talente anbetrifft. Deutschland hat im Nachwuchsbereich deutlich mehr zu bieten, als es selbst unter eingefleischten Tennisfans bekannt ist. Mit einer breiter gestreuten Förderung könnte man mehr Spielerinnen die Chance geben, eines Tages den Durchbruch zu schaffen. Hier dient Deutschlands zweitbeste Tennisspielerin Angelique Kerber als bestes Beispiel. Vom DTB schon abgeschrieben kämpfte sie sich wie aus dem Nichts 2011 ins Halbfinale der US Open, der Rest ist Geschichte.
Daher lohnt sich in diesem Jahr auch der Blick auf die Juniorinnenkonkurrenz bei den Australian Open. Victoria Pohle hat den Einzug ins Hauptfeld zwar knapp verpasst, dafür sind mit Eva Bennemann, Julia Stusek und Sonja Zhenikhova gleich drei deutsche Zukunftshoffnungen am Start. Wenn Beltz seine Aufgabe als DTB-Chefcoach wirklich ernst nimmt, wird man ihn auch dort am Spielfeldrand entdecken können. Aber wer soll daran schon ernsthafte Zweifel haben ?
Turnier: Australian Open 2025